Leipzig-Gohlis

Marianne Kirchgeßner - Glasharmonikaspielerin


* 5. Juni 1769 in Bruchsal,
† 9. Dezember 1808 in Schaffhausen

Marianne Kirchgeßner wurde am 5. Juni 1769 als Tochter eines Kammerzahlmeisters in Bruchsal geboren.
Bruno Hoffmann schreibt in „Ein Leben Für die Glasharfe": „Sie war im Alter von vier Jahren nach einer Pockenkrankheit erblindet, zeigte aber trotz alledem sehr früh großes Talent im Klavierspiel. Joseph Anton Reichsherr von Beroldingen , Domkapitular von Speyer, ermöglichte der Zehnjährigen eine Ausbildung auf der Glasharmonika bei Kapellmeister Schmittbaur in Karlsruhe und ließ ihr von demselben für 100 Dukaten eine Glasharmonika bauen und finanzierte ihren Unterricht beim Kapellmeister Joseph Schmittbaur in Karlsruhe.".

Die heute fast in Vergessenheit geratene Glasharmonika wurde 1761 von dem amerikanischen Diplomaten Benjamin Franklin in London entwickelt. Bei dem zu Ende des 18. Jahrhunderts sehr populären Instrument handelt es sich um eine Achse, auf der verschieden große Glasschalen aufgereiht sind. Die Achse ist an einem Holzgestell angebracht und wird durch ein Fußpedal zum Drehen gebracht. Mit angefeuchteten Fingern werden die Glasschalen berührt und es entstehen sehr empfindsame Töne.

Im Frühjahr 1791 unternahm Marianne Kirchgeßner in Begleitung „ihres treuen Freundes, des Rathes Boßler aus Speyer“ ihre erste Konzertreise. Sie führte sie über Heilbronn, Ludwigsburg, Stuttgart, München, Salzburg, Linz nach Wien. Hier gab sie im Mai ihr erstes Konzert am Burgtheater. Mozart hatte die Glasharmonika schon durch Marianne Davies kennengelernt; doch erst für Marianne Kirchgeßner komponierte er am 23. Mai 1791 sein berühmtes Quintett für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und Violoncello (K.V.617) und sein Solo-Adagio in C (K.V. 617a). Das zweite Wiener Konzert fand am 19. August 1791 am Kärtnertortheater statt –, wobei Mozart( vier Monate vor seinem Tod) höchstpersönlich, wahrscheinlich an der Viola mitwirkte. „Durchdrungen von dem Gefühle des wärmsten Dankes, über den glücklichen Beyfall, mit dem ich in meiner [...] musikalischen Akademie, beehrt wurde [....] werde (ich) daher [...] vor meiner Abreise von hier nach Berlin [...] nächstkommende Woche noch eine grosse musikalische Akademie geben, und ein neues, überaus schönes Konzertquintett mit blasenden Instrumenten begleitet, von Hern Kapellmeister Mozart [...] spielen.“

Zu diesen Zeitpunkt hatte Marianne Kirchgeßner ihre Reise bereits nach Leipzig und Dresden fortgeführt Sie erntete viel Bewunderung am Hofe des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II in Berlin, wo sie mehrmals vorspielte. Da die Virtuosin keine Noten sehen konnte, hatte sie ein erstaunliches Geschick entwickelt, die für sie komponierten Werke nach Gehör wieder zu geben. D.h. ein neues Stück wurde von jemand auf dem Klavier vorgetragen und sie spielte es danach auf der Glasorgel nach. Für Marianne Kirchgeßner folgten Reisen nach Leipzig, Dresden, Polen, Berlin (wo sie viermal am Hofe spielte), Hamburg, London. Gerade in London, das damals Refugium vieler europäischer Künstler vor den napoleonischen Kriegswirren war, regte sie namhafte Komponisten zu Werken für ihr Instrument an. Da sie als Blinde eine aussergewöhnliche Auffassungsgabe besaß und ihr wohl viele neue Werke nur auf dem Klavier mitgeteilt wurden, dürfte auf diese Weise manchens Originalwerk für immer verloren sein. Nach ihrem dreijährigen Aufenthalt in London waren Kopenhagen, die baltischen Länder und Petersburg weitere Stationen des Erfolges.

1799 ließ sie sich auf einem Landgut in Gohlis bei Leipzig nieder.

Ihre „letzte“ Konzertreise, wie sie selbst sagte, unternahm sie 1808 in die „romantische Schweiz“. Nach Konzerten in Stuttgart, wo sie Antonin Reichas SOLO POUR HARMONICA AVEC ACCOMPAGNEMENT DE L'ORCHESTRE spielte, und in Tübingen, wo der als Zugabe gespielte Bach-Choral „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ ihr letztes Spiel auf der Glasharmonika sein sollte, zog sie sich bei einem Postkutschenunfall in einem Hohlweg bei unwirschem Novemberwetter ein Brustfieber zu, an dem sie am 9. Dezember 1808 in Schaffhausen, wenige Tage vor dem mit dem Musikkollegium geplanten Konzert, 39jährig erlag.
„Doch nichts von dieser großen Künstlerin ist auf unsere Tage gekommen, keine bildliche Darstellung, keine Biographie, die ihr ständiger Begleiter, Rath Boßler aus Speyer, nach ihrem Tode versprochen hatte, keine Glasharmonika, kein Notenmaterial - nur eine ergreifend schöne, blonde Locke, die die Stadtbibliothek Schaffhausen in G. Müllers Nachlaß verwahrt.“

Literatur:
Alexander Mell: Handbuch des Blindenwesens. Wien und Leipzig 1900, S. 407
Melanie Unseld: Mozarts Frauen. Begegnungen in Musik und Liebe. Reinbek bei Hamburg 2005, S. 154 ff
Wikipedia.de
Bruno Hoffmann: Ein Leben Für die Glasharfe Niederland-Verlag, Backnang 1983, ISBN: 3-923947-06-2

Bild: www.janeausten.co.uk/


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