Leipzig-Gohlis

Gohlis - Standort des Militärs


In seinem bekannten Buch über Gohlis von 1926 widmete Willy Ebert der Garnison ein ganzes Kapitel und betonte, dass das Militär einen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung des Leipziger Nordens hatte. Nach bisherigen Forschungsergebnissen ist das (wie so manches in der Geschichte) auf das schlechte Verhältnis der sächsischen Landesregierung zur Stadtverwaltung Leipzigs zurückzuführen und etwas auch dem Zufall zu danken.
Durch ein altes kurfürstliches Privileg war Leipzig von der Stationierung von Truppen befreit und nur in der Pleißenburg gab es eine kleine Schloßwache und ab 1830 auch eine kleine Garnison. Da die Stadt die Pleißenburg aus verkehrstechnischen und hygienischen Gründen gern abgerissen hätte, entbrannte ab der Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein Streit zwischen der Stadt und dem sächsischen Kriegsminister von Fabrice. Dieser wollte die Burg unbedingt als Kaserne erhalten und ausbauen. Als dann 1875 eine Kaserne für das Infanterieregiment 106 gebaut werden sollte, verwarf von Fabrice alle Vorschläge der Stadtverwaltung und bestimmte das kleine Dörfchen Möckern zum Standort. Das war zwar eigentlich Unsinn, denn das Manövergelände befand sich in Connewitz und der Baugrund der Kaserne befand sich auch noch nördlich vom damaligen Dorfkern entfernt von jegliche rlnfrastruktur. Der Bau der Kaserne an der damaligen Hallischen Straße war jedoch die Grundlage dafür, dass alle weiteren militärischen Bauten im Norden von Leipzig erfolgten.
Als erster militärischer Bau in Gohlis entstand die Militärwäscherei in der heutigen Stallbaumstraße. Die weiteren Bauten spielten sich an der Grenze zu Gohlis ab. So wurde 1880 eine Barackenkaserne für das Infanterieregiment 134 auf dern "Gohliser" Exerzierplatz errichtet. Dieser "Exer' befand sich jedoch auf Leipziger Gebiet, etwa zwischen dem Chausseehaus, dem Nordplatz, dem Kickerlingsberg und der Ehrensteinstraße. Nur das große Exerzierhaus an der Ehrensteinstraße wurde auf Gohliser Flur errichtet.

Als nach dem Tode des sächsichen Kriegsministers endlich die Verhandlungen zum Kauf der Pleißenburg durch die Stadt in Gang kamen, da war Gohlis eingemeindet. Die erste Voraussetzung für den Burgenkauf war der Bau einer Kaserne für das Infanterieregiment 107. Wieder war es die Gohliser Grenze, diesmal die in Möckern. Ab 1895 begann der Bau eines ganzen Kasernenkomplexes entlang der heutigen Olbrichtstraße. Diese im verlaufe des Kasernenbaus angelegte Straße liegt auf Gohliser Territorium, die westlich angrenzenden Kasernen jedoch auf dem von Möckern. Da die Gemeinde Möckern jedoch ein ganzes Stück von den Kasernen entfernt lag und der Weg über die Landsberger Straße führte, wurden die Kasernen als Gohliser Kasernen bezeichnet.
Von 1895 bis 1897 entstanden auf Kosten der Stadt (teilweise verrechnet mit dem Pleißenburgkauf) die Kaserne des Infanterieregiments 107 (Prinz Johann Georg Kaserne, Olbrichtstraße/Ecke Liebermannstraße, die Kaserne des Ulanenregiments 18 (König AlbertKaserne,Olbrichtstraße/ Landsberger Straße), das Divisionsgericht mit Militärgefängnis (südliche Olbrichtstraße/ Ecke Liebermannstraße), die Garnisonsverwaltung und das Proviantamt (südlich davon). Diese Bauten wurden mit der Kaserne des Trainbataillons 19 (Werk Motor) um die Jahrhundertwende abgeschlossen. Gleichzeitig damit entstanden auch die ersten Militärbauten auf Gohliser Flur: Am Viertelsweg die Kaserne für das Artifierieregiment 77 und an der Olbrichtstraße (damals Heerstraße) das Bekleidungsamt und das Artilleriedepot.
Da die Stadt für die Unterbringung eingezogener Reservisten und durchziehenden Truppen verantwortlich war, wofür jährlich große Summen eingesetzt werden mußten, wurde nach einem Ausweg gesucht. Dieser wurde in der Errichtung von Einquartierungshäusern an der Landsberger Straße (Endstelle der Straßenbahnlinie 6) gefunden.
Schließlich war noch der Bau einer evangelischen Garnisonskirche und einer katholischen Kapelle geplant. Beide sollten auf dem freien Platz vor der Kaserne der 107er entstehen (Armeestadion), fielen jedoch dem Geldmangel in Vorbereitung des 1. Weltkrieges zum Opfer. Damit war im Leipziger Norden der zweitgrößte Kasernenkomplex Sachsens und einer der größten Deutschlands entstanden. Hier lebten zeitweilig bis zu 8000 Soldaten. (II)

Als Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts an der Nordgrenze von Gohlis der große Kasernenkomplex gebaut wurde, da reichten die Häuser des Stadtteils erst bis zum Eisenbahnbogen. Die Kasernen auf der"Goldenen Höhe" standen ohne Bindung zur Stadt auf freiem Feld. Die Landsberger Straße war nicht nur die wichtigste sondern fast die einzige Verbindung zur Stadt. Der Tauchauer Weg (Max-Liebermann-Straße) und der Wiederitzscher Weg (heute zur Bundeswehrkaserne gehörender Weg zwischen der Endstelle der Straßenbahnlinie 6 und Möckern) waren relativ unbedeutende und nur gering befestigte Landstraßen.
Eine der Hauptaufgaben während und kurz nach der Errichtung der Kasernen war darum der Straßenbau. So entstand auf Drängen des Militärs und zum Teil mit dessen finanzieller Hilfe die Heerstraße (Olbrichtstraße), die Trainstraße (Fr. Reuter Str.) und die Treitschkestraße (J. Schehr Str.). Der Tauchar Weg und die Planitzstraße (Viertelswegteilabschnitt vor der Kaserne) wurden ausgebaut. Für die Soldaten aber wohl die wichtigste Verbesserung war der Bau der Straßenbahnlinie bis zur heutigen Endstelle der 6.
Es ist verständlich, dass an Straßen mit so guter verkehrstechnischen Anbindung auch bald Häuser gebaut wurden. Natürlich hätten sich in so schöner Lage auch ohne die Kasernen bald Leipziger Bürger angesiedelt, der Kasernenbau beschleunigte das aber unzweifelhaft. Das vor allem auch darum, weil mit dem Bau der beiden Wassertürme an der 0lbrichtstraße 1897und 1903 eine kontinuierliche Wasserversorgung auf der "Höhe" erst möglich wurde. Immerhin mußten ein Schachtbrunnen von mehr als 30 m Tiefe und ein Erdbehälter mit einem Fassungsvermögen von 1200 m3 angelegt werden.
Das erste Gebäude, das in der Nähe der Kaserne an der Landsberger Straße gebaut wurde, war übrigens eine Gaststätte. Diese wurde erst während der Bombardements im 11. Weltkrieg vernichtet.

Wenn sich mit den Kasernen auch keine Industrie oder auch nur Gewerbe im Norden von Gohlis ansiedelte, für die Stadt hatten Bau und Unterhaltung der Kasernen schon eine wirtschaftliche Bedeutung erster Ordnung erlangt. Der Bau wurde vornehmlich von Leipziger Baufirmen ausgeführt, was eine wichtige Forderung der Leipziger Stadtverordneten war. Das brachte Leipziger Maurern, Zimmerleuten, Fuhrmännern, Dachdeckern, Tischlern, Malern und vielen anderen Arbeit und damit Brot. Auch die Einrichtung mit Möbeln und Maschinen brachte manchem Leipziger Händler ein Stück Reichtum. Nach Einzug der Regimenter in die Kasernen mußten diese ständig mit Lebensmitteln und Getränken, mit Schlachtvieh, Stroh für die Strohsäcke, mit Uniform und Waffenteilen, mit Heizung und Energie sowie mit Pferden versorgt werden. Wenn das Leipziger Bürgertum auch nie so richtig militärbegeistert war, diese ständigen Einnahmen ließen viele die blauen Röcke wohlwollender sehen.
Einige Berufsgruppen aber lebten in starkem Maße von den Kasernen und siedelten sich darum auch in größerer Anzahl im Norden von Gohlisan. Dawaren zuerstdie Gast- und Schankwirte. Von den 121 Gasthäusern und 8 Schankwirtschaften Leipzigs im Jahr 1899 lag eine überproportional große Zahl in Gohlis. Da waren weiterhin die Fotografen. Allein in der Hallischen Straße (Georg Schumann Straße) gab esdavon eine große Zahl, so das Photographische Atelier Bernhard Gunkel in der Nr. 77-79. Es wurde hier nicht einfach fotografiert oder gar "geknipst", hier wurde gestaltet, wurden künstleriche Hintergründe ins Bild gerückt und selbst aus dem mickrigsten Soldaten wurde ein Held gemacht. Es wurde viel retuschiert und noch mehr koloriert. Und da waren die Postkartenverlage. Die Lithographische Anstalt Bruno Bürger und Otthilie brachten ebenso wie Kuhn und Schmutzler aus Gohlis wahre Kunstwerke her aus. Es gab kaum ein militärisches Gebäude, das nicht eine Postkarte zierte und kein militärisches Ereignis wurde ausgelassen: Manöver und Paraden, der Umzug aus der
Pleißenburg nach Gohlis, Musterungen und die nahende Entlassung in die Reserve, die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals und Regimentstage.
Leider sind viele der Karten in Sammlungen Leipziger und aus wärtiger Sammler verschwunden und für die Geschichtsforschung kaum noch zu nutzen. Und schließlich waren da die Fahnenfabriken. Davon gab es in Leipzig drei, mehr als im ganzen übrigen Sachsen. So in Gohlis die Fahnenfabrik Ottilie Otto. Viel Geld schlugen die Vermieter aus den Offizieren, Unteroffizieren und Einjährigfreiwilligen heraus. Dass es dabei viel Konkurrenz gab, das belegt ein Beschwerdebrief des Mechanikers Paul Reinhard aus der Landsberger Straße 7 an das Kriegsministerium in Dresden, in dem er sich sehr besorgt um die Disziplin der Truppe zeigt, um sich im gleichen Atemzug Vorteile als Vermieter zu verschaffen.
Dass sich rund um die Kasernen auch das älteste Gewerbe der Welt ansiedelte, dazu wollen wir keine weiteren Ausführungen machen. Bliebe zu erwähnen, dass die ausgeprägte "Öffentlichkeitsarbeit" der Regimenter wesentlichen Einfluß darauf hatte, daß 1914 viele Leipziger begeistert in den Krieg zogen. Durch den um die Jahrhundertwende er folgten Bau der Kasernenstadt in Gohlis und Möckern erlebte der Norden Leipzigs einen nicht zu überschätzenden ökonomischen unds tädtebaulichen Aufschwung. Darauf wird von Ebert in seinem auch heute noch gern gelesenen Buch über Gohlis ausdrücklich hingewiesen. Diesen positiven Wirkungen des Militärs stehen jedoch bisher wenig untersuchte Folgen entgegen, die wir in unserem heutigen Beitrag betrachten wollen. Die Stationierung des Militärs in Leipzig führte zu einer bisher nicht gekannten Militarisierung des gesamten Lebens in der Stadt und natürlich besonders des Nordens.

Die blauen Röcke der Soldaten waren allgegenwärtig. In den ersten Jahren besonders dadurch, daß der Weg zu den Exerzierplätzen am Chauseehaus und in Connewitz natürlich durch Gohlis führte. Das änderte sich zwar durch den Bau des Schießplatzes am Bienitz und des Übungsgeländes in Lindenthal, aber die Märsche zu allen möglichen militärischen Spektakeln wurde auch weiterhin ganz bewußt durch die bewohntesten Gegenden geführt. Und der militärischen Selbstdarstellungen gab es mehr als genug: Sedanfeiern, Denkmalsweihen, Paroleausgaben zu Kaisers und Königs Geburtstagen, Besuche der königlichen Familien und der Chefs der Regimenter und die Rückkehr von Manövern. Schließlich führte auch der sonntägliche "Gang" zur Kirche in die Innenstadt und damit durch Gohlis. Den Regimentern waren Plätze in den Kirchen der Stadt zugewiesen, denn anders als in Dresden fehlte in Leipzig die Garnisonskirche. Zu diesen Kirchgängen wurde auf Kommando herausgetreten und natürlich auch militärisch exakt marschiert.
Eine besondere Rolle spielten die biszu acht(!) Militärkapellen Leipzigs. Sie musizierten nicht nur zu militärischen Zeremoniellen und den Aufmärschen aller möglichen Vereine, sondern gaben allsonntaglich Platzkonzerte am Haus des kommandierenden Generals und spielten regelmäßig zum Tanz auf. Der Musikdirektor des Infanterieregiments 107, Carl Walther, war dabei die herausragendste Erscheinung. Besondere militärische Schauspiele stellten die 200 Jahr Feiern der Regimenter 106 und 107 im Juni 1908, die Kaiserparade in Lindenthal im September 1903 und vor allem die Einweihung des Völkersch lachtdenkmals 1913 dar. Führten diese Äußerlichkeiten nur zur"Lust aufs Militär", zumindest er hoffte man das, so wirkten andere Dinge direkter bei der Erziehung der Bevölkerung zu Militaris mus und Chauvinismus. Das begann bereits bei den Kindern. In den Schreibervereinen führten Militärangehörige mit
den Kindern"Felddienst übungen im freien Ge lände" durch und in den Sportvereinen exerzierten Unteroffiziere mit den jungen Sportlern. So sollten die Kinder und Jugendlichen freudig auf den Kriegsdienst vorbereitet werden. Bei "der Fahne" ging es dann weiter. In Instruktionsstunden wurden die jungen Soldaten auf den Kaiser und seine Expansionspolitik eingeschworen, was durchaus auch Wirkung hinterließ. Das zeigte sich u.a. darin, dass sich im Jahr 1900 allein aus dem IR 107 4 Offiziere, 10 Unteroffiziere und 79 Soldaten freiwillig zur Niederschlagung des sogenannten "Boxeraufstandes" nach China meldeten. Bereits vier Jahre später fanden sich erneut 39 Freiwillige des Regiments zur Unterdrückung des Hereroaufstandes in Südwestafrika bereit. Über den Einsatz sind keine Berichte erhalten geblieben, doch Briefe von Teilnehmern belegen, dass auch die Leipziger Soldaten zumindest bereit waren, mit der erwarteten Härte und Grausamkeit gegen die "Eingeborenen" vorzugehen. Was hinter den Kasernenmauern noch vorging, das blieb den Gohlisern meist verborgen, denn darüber zu reden war streng verboten und wurde auch verfolgt. Neben dem Drill hat ten viele junge Leipziger unter Drangsalierungen zu leiden. Wenngleich diese auch nicht so gravierend gewesen sein mögen wie in der preußischen Armee, die Behandlung der Mannschaften in den Leipziger Kasernen war oft erniedrigend und menschenverachtend. Das belegen zwei Zahlen: Von 1873 bis 1898 mussten in den Leipziger Truppenteilen 260 Vorgesetzte wegen grober Soldatenmißhandlungen bestraft werden und von 1889 bis 1900 gingen 60 junge Männer freiwillig in den Tod. Die Gründe dafür waren beim weitaus größten Teil in den Verhältnissen in den Kasernen zu suchen. Aber auch nach dem Armeedienst ging die ideologische Beeinflussung weiter. Da waren zuerst die Kriegervereine, die in Sachsen "Militärvereine" hießen. In Gohlis wirkte nicht nur der Verein "Kameradschaft" sondern hier trafen sich auch die ehemaligen 107er, die Ulanen, der Train und die Artilleristen. Diese Vereine waren keineswegs nur dem Zusammentreffen und der Erinnerung alter Kameraden gewidmet, sie waren im Gegenteil äußerst wirksame Instrumente zur Vermittlung nationalistischer, chauvinistischer und militaristischer Ideen und nicht zuletzt wurde von ihnen ausgehend Personal und andere Politik betrieben. Die Mitglieder der Militärvereine saßen in allen staatlichen und kommunalen Organen und wirkten in ihnen als Exponenten des Militarismus. Und was war ein guter Bürger ohne militärischen Dienstgrad überhaupt wert? Beiden Gästen zur 200 Jahr Feier der Regimenter hieß es bei Herrn Rothe zum Beispiel: Oberleutnant der Landwehr a.D., Dr. jur., Direktor, Stadtverordnetenvorsteher. Daneben widmeten sich aber auch die Schützengesellschaft, der Deutsche Wehrverein, der Flottenverein und der Luftfahrerverein der Vorbereitung der Leipziger auf den Krieg. Es war darum kein Wunder, daß 1914 in der sozialdemokratisch geprägten Stadt junge Männer von einem Begeisterungstaumel erfaßt willig in das große Morden des 1. Weltkrieges zogen.Im Oktober/November 1914 war Leipzig ein Kriegslager, wie es die Stadt wohl seit der Völkerschlacht von 1813 nicht mehr gewesen war. Die wenigen Monate seit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges hatten einen Stimmungsumschwung gebracht, die Euphorie des 2.August 1914warverflogen. Das lag vor allem daran, dass nach der Entscheidungsschlacht an der Marne auch die Leipziger erkennen mussten, dass der Schlieffen Plan gescheitert war, auch wenn sie nicht wussten, dass bereits Anfang September 1914 Generalstabschef Helmuth von Moltke (der Jüngere) zu Kaiser Wilhelm 11. gesagt hatte "Majestät, wir haben den Krieg verloren!"
Die Leipziger Infanterieregimenter 106 und 107, das Ulanenregiment 18, das Artillerieregiment 77, das Trainbatailion 19 und die MG Abteilung 8 hatten bereits am 2. und 3. August die Stadt verlassen. Ihnen folgte Mitte August das Reserve Infanterie Regiment 107 und die Leipziger Teile des Landwehr Infanterie Regiments 106 und im Oktober das in Leipzig aufgestellte Infanterieregiment 245. Die Leipziger Truppenteile lagen nach Anfangserfolgen in den Schützengräben vor Verdun. Vor ihnen lag ein jahrelange blutiger Stellungskrieg.
In Leipzig befanden sich im November 1914 mehr als 40 Stäbe, Truppenteile sowie Landwehr und Landsturmeinheiten in den Kasernen, in etwa 25 Gasthöfen und vielen Schulen der Stadt. So lagen 420 Mann der 8. Kompanie des Ersatzbataillons des Infanterieregiments 106 im Neuen Gasthof Gohlis und von den Schulen waren die 5., 12., 22. und 23. Bezirksschule mit Soldaten belegt.
Weitere Schulen, so auch die Oberrealschule am Nordplatz, wurden zu Lazaretten umfunktioniert. Die am 29. September 1914 eintreffenden ersten 290 Schwerverwundeten wurden jedoch in die Teile des Krankenhauses St. Georg eingewiesen, die zu einem Reservelazarett mit400 Betten umgestaltet worden waren. In den nächsten Monaten folgten weitere Reservelazarette in Baracken vor der Kaserne an der jetzigen Olbrichtstraße und in zwei Garagen (Wagenhäusern) in der Kaserne an der Hallischen Straße, in Freimaurerlogen und Privatkliniken. Darüber hinaus gab es bereits im Januar 1915 in Leipzig 14 Genesungsheime in Privathäusern, Schwesternheimen, Burschenschaftshäusern und Stiften. Den Stimmungsumschwung verdeutlicht auch ein Schreiben der Stadtkommandantur an den Rat der Stadt vom 25.11.1915, in dem mitgeteilt wurde, daß das Arresthaus im Kasernenkomplex so überbelegt sei, daß von der Stadt unbedingt weitere Arrestzellen zur Verfügung zu stellen seien. In nur 3 Wochen konnten 238 vom Gericht der 48. Brigade Verurteilte ihre Arreststrafen wegen Überfüllung der Arrestanstalt nicht antreten.
Mit dem Eintreffen von immer mehr Gefallenen , Verwundeten und Vermisstenmeldungen sank die Stimmung in der Stadt immer mehr. Daran konnten auch die Ausstellung von im Westen erbeuteten Tanks und Geschützen, die Aufrufe zum Sticken eines Ehrenteppichs für die Frontsoldaten und die Sammlungen für den Leipziger Lazarettzug nichts ändern. Die Hoffnungen auf einen Sieg an den Fronten waren begraben, Hunger griff besonders in den Wintermonaten um sich und es kam 1916 und 1917 zu Hungerunruhen im Westen der Stadt, die auch mit Hilfe des Militärs niedergeschlagen wurden. In Gohlis blieb es relativ ruhig, denn dem hier ansässigen Bürgertum ging es relativ besser als den Bewohnern der Arbeiterviertel in Lindenau und Leutzsch. Aber auch in den Kasernen und Massenunterkünften der Soldaten begann es zu gähren. Ab etwa 1916 bestand des Heimatheer, das die Leipziger Kasernen und Unterkünfte beherbergte, zum einen aus den jüngsten Jahrgängen, die für den Einsatz an der Front vorbereitet wurden. Trotz großer Anstrengungen in den Schulen und im politischen Leben war bei ihnen kaum noch Kriegsbegeisterung vorhanden. Eine zweite Gruppe bildeten die Genesenden, zumeist von der Front in die Heimat transportierte Verwundete mit mittleren und schweren Verwundungen. Sie kannten die Lage an der Front, ihre Aussichtslosigkeit, den Dreck in den Schützengräben und die missliche Lage ihrer Familien und hatten kein Interesse an einem erneuten Fronteinsatz. Die größte Gruppe aber bildete., die älteren Jahrgänge, Landwehr und Landsturmleute, die militärisch kaum noch einsetzbar waren und die Entwicklung in der Heimat hautnah miterlebt hatten. Sie alle waren so wie der größte Teil der Bevölkerung kriegsmüde. Dazu kam, dass die Unterbringung in den Massenquartieren miserabel war. So meldete der Kasernenvorsteher der 21. Bezirksschule, "dass im Schlafsaal 41 die Wanzenplage so überhand genommen hat, dass beim Emporheben der Strohsäcke Wanzen in großer Zahl zum Vorschein kommen."
Es war kein Wunder, dass die in Kiel ausgebrochene Novemberrevolution schnell auf Leipzig übergriff. Am 8.11.1918 zogen gegen 14 Uhr etwa 400 bis 500 Soldaten mit roten Fahnen durch die Südstraße (Karl-Liebknecht Straße). Schnell griffen die Unruhen auch auf die Kasernen im Norden der Stadt über. In diesen wurden Soldatenräte gewählt, die sich mit den Arbeiterräten zu Arbeiter und Soldatenräten vereinigten. Bereits in den ersten Tagen bildete der Leipziger Arbeiter und Soldatenrat eine Sicherheitswehr, deren Stärke in unterschiedlichen Quellen mit etwa 1025 bis 1500 Mann, davon ein Drittel Matrosen, angegeben wird. Sie war das Ergebnis eines vorübergehenden Machtvakuums und hatte die Aufgabe, die militärischen Einrichtungen und öffentlichen Gebäude zu bewachen und Straftaten zu bekämpfen. Untergebracht war sie zum größten Teil in der Kaserne an der Hallischen Straße. Gleichzeitig bildeten sich in der Kaserne der 107er erste Einheiten einer" weißen Garde". So zeigte sich in der Kasernenstadt in Gohlis/ Möckern die Polarisierung der politischen Kräfte nach dem 1. Weltkrieg. Nach der Niederlage Deutschlands und der Beendigung des 1. Weltkrieges trafen ab 21. November 1918 die Leipziger Stäbe und Truppenteile in der Garnison ein. Höhepunkt war der Empfang der der Reste der Infanterieregimenter 106 und 107 am 16. und 17. Dezember auf dem Marktplatz. Die sofort beginnende Demobilmachung erfolgte jedoch nur zu einem geringen Teil in den Kasernen des Nordens, sondern in Schulen, Gasthöfen und anderen Massenquartieren des Leipziger Umlandes. Damit sollte einerseits verhindert werden, daß die Soldaten des IR 106 (Kaserne G. Schumann Straße) mit den revolutionären Angehörigen der Sicherheitswehren in Berührung kommen könnten, andererseits aber sollte in den Kasernen des IR 107 und des Husarenregiments 18 (beide Olbrichtstraße) die Aufstellung von Grenzschutzeinheiten und der ersten Einheiten der vorläufigen Reichswehr (übergangsheer) nicht behindert werden.
Die Aufstellung der Grenzjägerableilung 4 (etwa 150 Mann) in den Kasernen an der Olbrichtstraße erfolgte in aller Stille. Sie verlassen die Kaserne auch sehr bald um Platz für die Aufstellung der 2. Grenzjägerbrigade, des Grenzjägerbataillons 12 und einer Infanterie Geschütz Batterie zu machen. In diese werden auch 106 "Deutschböhmen" eingegliedert. Das Bild in Leipzig bestimmen jedoch die Angehörigen der Sicherheitswehr die zum größten Teil in der Kaserne an der G. Schumann Straße und am Viertelsweg untergebracht wurden. Gegen sie richtet sich auch der Hauptschlag der Reichswehrbrigade 16, als diese unter dem Kommando von General Maercker am 11. Mai 1919 Leipzig besetzt. Bereits zwei Tage später wird in der Kaserne des IR 107 das Zeitfreiwilligenregiment Leipzig aufgestellt. Es besteht aus vier Bataillionen und rekrutiert sich zu einem großen Teil aus Studenten der Leipziger Universität und aus Beamten und Angestellten der Stadt. Zum Appell am 23. Mai sind bereits 2000 Mann eingekleidet. Gleichzeitig werden weitere Stäbe und Einheiten der vorläufigen Reichswehr aufgestellt, schließlich im Juni 1919 die Reichswehrbrigade 19 mit dem Grenzjäger (Reichswehr ) Regiment 37 und Teilen des Husarenregiments 19.
Schließlich fällt in diese Zeit auch die Räumung, Desinfektion und Übergabe der Massenquartiere, so auch der 21. Bezirksschule Gohlis, Breitenfelder Straße, die sich als stark mit Wanzen und Flöhen verseucht herausstellt. Als im März 1920 in Berlin Kapp und Lüttwitz gegen die Regierung putschen, wird auch in Leipzig der Generalstreik ausgerufen. Gegen die Demonstrationen der Arbeiter, die letztendlich die demokratisch gewählte Regierung Deutschlands verteidigen wollen, ruft der Kommandierende General, Senft von Pilsach, die inzwischen 4000 Mann starken Zeitfreiwilligen und Teile des Reichswehrregiments 37 zu den Waffen. Es kommt zu Kämpfen am Augustusplatz, an der Thomasschule und schließlich zur Zerstörung des Volkshauses. Allein bei den Kämpfen am Augustusplatz sterben 40 Demonstranten und mehr als 100 werden verletzt. Kreishauptmann Lange schätzte wenige Tage später ein, dass die Kämpfe in Leipzig darauf zurückzuführen gewesen seine, dass die Zeitfreiwilligen in Durchsetzung ihrer Aufgabe über das Ziel hinausschossen.
Als am 1. Januar 1921 endgültig die Reichswehr als 1 00.000 Mann Heer formiert wird, werden im Norden Leipzigs der Stab, das 11. und 111. Bataillon sowie die Minenwerferkompanie des Infanterieregiments 11 aufgestellt. Gleichzeitig formierte sich in der ehemaligen Trainkaserne (heute vielen bekannt als"Werk Motor") die 3. Kompanie der Kraftfahrabteilung 4.
Die Angehören der Reichswehr waren Berufssoldaten, die sich zu einer 12jährigen Dienstzeit verpflichteten, wobei in der Regel die Dienstzeit vor 1921 angerechnet wude. Mit dem Status als Berufssoldat waren Auflagen verbunden, die heute kaum nachempfunden werden: Verbot jeglicher politischer Betätigung, Verbot der Mitgliedschaft in Vereinen und Parteien, kein Wahlrecht, Heiratsverbot bis zum 27. Lebensjahr (danach nur mit Zustimmung des Vorgesetzten), kein Wahlrecht, Kündigungsrecht, Mietverbot für Privatwohnungen, Verbot des Betretens von festgelegten Lokalen und Veranstaltungen, besondere Genehmigung zum Übertreten der Standongrenze. Der Dienst brachte für die Reichswehrangehörigen jedoch auch Vorteile: feste Arbeitsstelle mit einem relativ guten Verdienst, billige Wohnungen für Verheiratete in den Kasernen, Aufstiegsmöglichkeiten und ziviIe Qualifizierung während der Dienstzeit. Um letzteres zu ermöglichen, wurden in den folgenden Jahren durch die Standortverwaltung der Reichswehr Heeresfachschulen für Verwaltung, für Landwirtschaft und für Wirtschaft eingerichtet.
Während es in den folgenden Jahren um die kleine Reichswehrgarnison relativ ruhig blieb, traten die Bewohner der Kaserne an der G. SchumannStraße oft in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Hier war die Kaserne mit neun (zeitweilig auch sechs) Polizeibereitschaften belegt, die wegen ihrer Uniformen bei der Bevölkerung Grüne hießen. Es war dies eine kasernierte Polizei mit Beamtenstatus, die neben Wachaufgaben in öffentlichen Gebäuden für den konzentrierten Einsatz bei öffentlichen Veranstaltungen, Demonstrationen und Kundgebungen eingesetzt wurde. Sie waren wegen ihres rigorosen Vorgehens, bei dem es wiederholt Tote gab, gefürchtet. Ihr Einsatz erfolgte vornehmlich in Leipzig, darüber hinaus waren sie jedoch u.a. auch an der Niederknüppelung der Maidemonstration 1929 in Berlin beteiligt. Außerdem lag in dieser Kaserne eine berittene Abteilung mit etwa 50 Pferden.

Dr. Dieter Kürschner

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